(M)ein Leben als Vermehrerhündin – und das Leben danach
‘Ich beginne zu leben – Ich bin ein sechsjähriger Welpe‘
Ich weiß nicht wie ich heiße oder wo ich herkomme. Ich weiß nichts mehr über meine Kindheit – aber sie wird nicht glücklich gewesen sein. Auch wann ich geboren wurde weiß ich nicht. Ich war eine Nummer – eine Vermehrerhündin (animal ressource) – nur dazu da immer wieder neue Welpen zu gebären. Das Interessante an mir war meine Produktivität. Ich als Individuum war uninteressant. Muttergefühle? Ich war Mutter aber man hat mir meine Kinder sofort weggenommen. Lebensfreude? Irgendwas hat mich überleben lassen, aber Freude? – vegetieren trifft es wohl eher.
Ich bin eine Berner Sennenhündin!
Ich bin kein Zwingerhund, kein notorischer Einzelgänger!
Ich brauche ein Rudel um mich herum damit ich leben kann!
Ich will nicht alleine sein!
Andere Hunde?
Vielleicht konnte ich sie durch die Gitterstäbe beobachten, sie waren dann neben mir und doch weit weg.
Oder ich konnte sie nur jaulen hören, weil durch Betonwände der Blickkontakt nicht möglich war.
Es gibt Artgenossen die haben sich aufgegeben.
Menschen?
Viele von uns, die dieses Leben führten, wollen mit diesen Zweibeinern nichts mehr zu tun haben, denn sie haben besch…. Erfahrungen gemacht. Wenn sie sich dann aus lauter Verzweiflung wehren wird es noch schlimmer.
Und warum das Ganze? Damit meine ‘Kinder‘ für 250€, auf Autobahnparkplätzen o.ä.,
an Menschen verkauft werden können, die es schick finden einen Hund zu haben und sich dabei kaum Gedanken darüber machen, woher die günstigen Welpen kommen und unter welchen Umständen sie aufwachsen mussten, geschweige denn, wie wohl die Elterntiere leben. Oft scheren auch sie sich einen Dreck um unsere Bedürfnisse und Eigenarten. Ich habe meine Zweifel, dass es ihnen viel besser geht als mir.
Zukunft? Ein Leben außerhalb dieser Mauern und Gitterstäben?
Hund sein? Was ist das?
Ich kenne es nicht! Wie viele Sechser im Lotto braucht es wohl um dieses Leben hinter mir lassen zu können? Denn ich alleine kann es nicht ändern!
Doch dann kam die Wende.
Als Vermehrerhündin war ich irgendwann nicht mehr gewinnträchtig genug, so dass man sich entschloss, sich meiner zu entledigen. Ich wurde an den Tierschutz übergeben, der mich aufnahm und mir zunächst eine neue Übergangsheimat schuf. Diese Menschen gaben mir dann auch meinen Namen – ‘Holly‘. Zum ersten Mal hatte ich etwas individuelles das mich ausmacht. Man schätzte mein Alter auf ca. 6 Jahre und trug ein fiktives Geburtsdatum in den Impfpass ein. Zusammen mit einer anderen Hündin, die Mirjam genannt wurde, begann ich zu erfahren was ‘Leben‘ ist. Mirjam war klasse. Sie ist so anders als ich, selbstbewusst und offen. Als eher ruhige und schüchterne Hündin konnte ich mich ihr anschließen. Doch ich wusste nicht, dass dies noch nicht das Ende meiner Reise sein sollte. Man suchte für uns beide eine endgültige neue Heimat. Es tauchten dann zwei Menschen auf, die sich für eine Berner Hündin interessierten. Wir wurden beide vorgestellt und dann gingen die Menschen wieder. Es hat uns beide nicht besonders beeindruckt, bis sie dann eine Woche später wieder kamen und mich mitnahmen. Der Preis für meine neue Heimat war, dass ich Mirjam zurücklassen musste.
Ich beginne zu leben – Ich bin ein sechsjähriger Welpe, welcher alles lernen und erfahren muss. Ich habe Glück. Ich habe verständnisvolle Menschen und eine andere Hündin, bei der ich mir viel abgucken kann. Sie heißt Betty, und sie hat mich Anfangs total ignoriert, aber mittlerweile kommen wir miteinander aus. Sie bringt mir viel bei und beschützt mich. Nein – alle beschützen mich.
Ich beginne anzukommen.
Was ist feuchtes Gras? Kann man darauf laufen? Warum knabbern andere Hunde so vergnügt an einem Stöckchen? Wieso rennen die ohne Grund hintereinander her und toben? Was ist toben? Wer sind diese komischen quakenden Tiere hier am Teich, die so ganz anders aussehen und fliegen können? Was kennen die alles, was ich noch erlernen muss?
Ich bin jetzt Hund. Nach sechs langen Jahren keine Vermehrerhündin mehr, sondern ein Tier welches geliebt und geachtet wird.
Ich hatte Glück – meine beiden Sechser im Lotto.
Viele andere warten noch auf dieses Glück.
Ich bin leider kein Einzelfall!
Verfasst von Guido K. (Forumsmitglied)